Henneckenrode und sein Schloss
Silke, unsere Nachbarin sagt über Henneckenrode:
Henneckenrode ist das schönste Dorf Niedersachens. Mindestens. Es liegt im atemberaubenden Nettetal mit Störchen, Bibern und viel unberührter Natur. In der Nette haben alle Kinder Henneckenrodes Schwimmen gelernt - diese Tradition werden eure dann fortsetzen. Der Sternenhimmel über Henneckenrode ist unfassbar und wenn Vollmond ist, kann ich im Garten Zeitung lesen. Im Henneckenroder Wald kann man in einer Stunde so viele Pilze sammeln, dass eine Familie satt wird. Und die alten Sorten im Obstgarten sind ein Gedicht. Wenn die Schlehen blühen, liegt über Henneckenrode der Zauber des Frühlings und die Lindenblüte raubt einem fast den Atem, so duftgeschwängert ist das Dorf. Die Josefskirche wacht schon so lange im Schlosshof, dass man die Geborgenheit in jedem Stein spüren kann. Henneckenrode ist ein Ort, an dem der Alltag von einem abperlt, und zwar genau dann, wenn man durch die Birkenallee auf das Dorf zufährt.
Überblick über die Geschichte des Schlosses
Deutlich sichtbar ist das Schloss in Henneckenrode der zentrale Ort des Dorfes. Die Eigentümer des Schlosses haben im Wesentlichen die Entwicklung des Ortes bestimmt.
Im und am Schloss (Hof und Dorf) sind vier größere Neubau- oder Umbauphasen zu erkennen:
Die Renaissancezeit
- 1579 wurde das Schloss errichtet – die Jahreszahl ist links neben dem Eingangsportal zu erkennen, 1597 die Kirche.
- Bauherren des Schlosses und der Kirche waren die Herren oder Ritter von Saldern, eine der mächtigsten Adelsfamilien im Fürstenbistum Hildesheim und im Herzogtum Braunschweig. Ihr Stammsitz lag in Salzgitter-Saldern, gehörte zu Braunschweig. Das Stammschloss sieht dem Henneckenröder Schloss sehr ähnlich.
Wer waren die Herren von Saldern? Den Herren von Saldern gehörten diverse Güter im katholischen Fürstentum Hildesheim, aber auch im protestantischen Herzogtum Braunschweig. Die Ansammlung von Gütern in zwei verschiedenen Herrschaftsbereichen brachte ihnen eine gewisse Unabhängigkeit und Macht. Im späten 16. Jahrhundert oder im 17. Jahrhundert wurden sie protestantisch. Von daher wird davon ausgegangen, dass die Kirche als evangelische Kirche errichtet wurde. - Henneckenrode gehörte zum Verwaltungsbezirk des Amtes vom Wohldenberg, Lehnsherr war bis 1520 der Fürstbischof von Hildesheim. |
- Den Renaissance-Stil erkennt man noch an der Dekoration des rechten und des linken Giebels mit Obelisken und Schnecken sowie an den Seiten-Risaliten (Vorsprünge) mit den versetzten Quadern. Außerdem gibt es einen – heute eher verdeckten – geschmückten Erker an der Nordseite. Innen ist der Baustil noch erkennbar an der Rundbogen-Tür im Erdgeschoss.
Die Barockzeit
- 1685 kaufte der Graf Adam Arnold von Bocholtz die Schlossanlage und ließ die Wirtschaftsgebäude und das Verwalter-Wohnhaus bauen. Er war der Drost des Amtes Wohldenberg. Ein Drost war ein adliger Beamter, der für einen bestimmten Bezirk den Landesherrn polizeilich, gerichtlich und administrativ vertrat. Nach Wikipedia wäre ein Drost wohl mit dem Landrat heute vergleichbar.
Wer waren die Grafen von Bocholtz?
Da der Adel im Stift Hildesheim fast ohne Ausnahme lutherisch geworden war, fehlten den Fürstbischöfen katholische Adlige, denen sie die Verwaltung des Stifts übertragen konnten. Die Fürstbischöfe holten sich deshalb Mitglieder des katholischen Adels aus Westfalen an ihren Hof und übertrugen ihnen wichtige Ämter, eben auch der Familie von Bocholtz.
- 1711 wurde die Kirche auf Druck des Grafen von Bocholtz katholisch.
- Im 18. Jahrhundert wurde das Schloss 1733 außen auf der Hofseite (= die repräsentative Schauseite) und innen modernisiert. Der Mittelgiebel wurde barockisiert, das Eingangsportal verändert und die beiden kleinen eingeschossigen Seitenflügel angebracht. Ornamente gibt es nur zum Hof hin (Schauseite), nicht zum Garten hin. Die Gartenseite blieb rustikal und ohne Ornamente. (siehe Gemälde aus dem 18. Jahrhundert)
- Innen sind noch die barocke Freitreppe erhalten und zwei barocke Türen mit üppigem floralem Schmuck.
Das Schloss im 19. Jahrhundert
- 1820 kaufte Friedrich Blum die Schlossanlage nebst Ländereien vom Grafen von Bocholtz.
Wer war Friedrich Blum?
Friedrich Blum war Landrentmeister – ein hoher Finanzbeamter, der Leiter des Finanzamtes des Fürstbistums Hildesheim. Wie konnte sich ein hoher bürgerlicher Beamter ein Schloss leisten (er kam wohl nicht aus einer sehr vermögenden Familie)? Annahme: In den Wirren der Zeit (1802 fällt das Fürstbistum Hildesheim an das Königreich Preußen, 1807-13 gehört es zum französischen Königreich Westphalen, 1813 kommt es zum Königreich Hannover) schaffte er es - ein Bürgerlicher, kein Adliger - privat ein Vermögen aufzubauen. Anscheinend war er eine Art Anlageberater, der auch Geld verliehen hat. Wahrscheinlich auch dem Grafen von Bocholtz, der Zeremonienmeister am Königshof Westphalen in Kassel war. - 1820 übernahm Friedrich Blum die Schlossanlage nebst Ländereien vom wohl hochverschuldeten Grafen.
- 1832 starb Friedrich Blum unverheiratet und ohne Kinder. Das Gut war sein Altersruhesitz, er liegt auf dem Friedhof in Henneckenrode beerdigt. In seinem Testament hat er dem Hildesheimer Bischof seinen Besitz angeboten, wenn der damit ein katholisches Waisenhaus für Kinder aus dem Fürstentum (nicht aus der Stadt) und dem Eichsfeld einrichtet. Außerdem musste der Bischof zusagen, den Kindern aus dem Heim und dem Dorf eine Schulbildung zu ermöglichen. Sie sollten „Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, nicht nur im Cathechismus ertheilt bekommen“ so Blum in seinem Testament.
- Der Bischof nahm die Erbschaft an und ca. 1835 wurde die Blum‘sche Waisenhausstiftung gegründet, der die Schlossanlage nebst Hof und weitreichende Ländereien gehörten. Friedrich Blum hat damit die Entwicklung von Henneckenrode für die nächsten 190 Jahre wesentlich vorgegeben und Henneckenrode ist wohl das einzige Kinderheim im Bistum Hildesheim gewesen, das direkt dem Bischof unterstand und vom Generalvikariat verwaltet wurde.
- 1838 wurde das Waisenhaus im Schloss eröffnet, das bis 2014 in Henneckenrode bestand. Ordensfrauen der Vinzentinerinnen leiteten das Kinderheim (mit Unterbrechung) bis 1942. 1906 wurde die (Alte) Schule gebaut.
- 1942 wurde das Schloss zum Lazarett umfunktioniert, das Kinderheim aufgelöst.
- 1946 wurde das Waisenhaus wieder eröffnet unter der Leitung der Armen Schwestern des Hl. Franziskus. Sie führten das Kinderheim bis 1997.
Aufbruch in den 1960er Jahren
- Anfang der 60er Jahre wurden das Schloss, die Kirche, der Hof und die zur Stiftung gehörenden Wohnhäuser im Dorf saniert und modernisiert, eine neue Schule gebaut und die Montessori Pädagogik eingeführt.
- 1964 segnete der Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen die modernisierten Gebäude und weihte sie im Rahmen einer großen Feier ein. Um der Bedeutung dieser Maßnahmen – Neuausrichtung der Blum’schen Waisenhausstiftung – hohe Symbolkraft zu verleihen, überreichte er zwei Reliquien vom Hl. Wendelin aus dem Saarland, dem Schutzpatron der Bauern.
- 1997 gaben die Armen Schwestern des Hl. Franziskus die Leitung des Kinderheims ab, das Kinderheim wurde der Caritas übergeben. 2007 verließen die letzten vier Schwestern das Haus.
- 2007 wurde die katholische Privatschule in Henneckenrode geschlossen und in eine Tageseinrichtung für Senioren umgebaut.
- 2011 übernahm die Stiftung Katholische Kinder- und Jugendhilfe (eine Einrichtung der Caritas) die Trägerschaft der Kinder- und Jugendhilfe Henneckenrode.
- 2020 verließ die letzte stationäre Kinder- und Jugendhilfegruppe das Schloss. Seitdem steht das Schloss leer.